Die sieben Todsünden (der PR-Agenturen) im Web 2.0

Seit Auftreten der ersten Elemente des Web 2.0 wurden diese unisono von den PR-Agenturen lediglich mit der Bezeichnung „Mitmach-Web“ abgewertet, das auf persönlicher und privater Ebene evtl. von Interesse sein könnte, aber (angeblich) keinesfalls auf PR-Ebene der Unternehmen und Marken.

Schließlich seien die Inhalte der PR-Agenturen glaubwürdiger, zielgruppenorientiert und exakt an Identität und Profil des jeweiligen Unternehmens (=Klienten) bzw. der jeweiligen Marke ausgerichtet.
Außerdem bestünde auch die Gefahr bei Web 2.0-Inhalten, dass Unternehmen und Marken sich vom Web 2.0 „aufweichen“ ließen und ihr Profil verlieren könnten.

Jetzt, da die Bedeutung des „Mitmach“-Web immer mehr und mehr an Einfluss auf Marken und Unternehmen gewinnt (im Gegensatz zu den bislang prognostizierten Aussagen der PR-Agenturen), wird der bisherige Standpunkt verlassen (man will davon sogar nichts mehr hören) und ein neuer, progressiver Weg eingeschlagen.

Das bisherige „Mitmach“-Web wird plötzlich von den Agenturen als ernsthafte Bedrohung ihrer eigenen Existenz erkannt (ohne dass sie dies je zugeben würden) und so springt man auf den bereits fahrenden Zug auf und akzeptiert ihn offiziell als wichtiges Element in der Unternehmens-Kommunikation.

So hat Dietrich Schulze van Loon, Präsident des Wirtschaftsverbandes GPRA, unlängst das Web 2.0 als Chance für die PR-Agenturen bezeichnet und Paul Holmes, CEO der Holmes Group, legt in seinem Manifest gar vier Eckpfeiler für die PR-Arbeit in sozialen Netzwerken fest.

Tatsache ist aber nach wie vor, dass nahezu sämtliche Agenturen – bislang(!) – ihren Klienten das Web 2.0 als Gefahr präsentieren und explizit vor einer „Teilnahme“ oder Einbindung warnen.

Dabei ist das Web 2.0 für alle da – auch für PR-Agenturen, doch es verlangt neue Denkweisen und eine Neu-Positionierung der Agenturen.

Um auf diesem entscheidenden Weg eine Hilfe zu bieten, habe ich die „sieben Todsünden“ für PR-Agenturen im Web 2.0 zusammengestellt:

  1. Arroganz
    Solange PR-Agenturen meinen, sie hätten das Web 2.0 „im Griff“ und könnten es beherrschen, werden sie meist schmerzlich eines Besseren belehrt.
    Beispiele hierfür gibt es schon genügend, wie Microsoft, Sony, Kryptonite u. a. zeigen.
    Umsichtigkeit, Respekt und fundierte Kenntnis subtiler Tendenzen im Web 2.0 sind die Voraussetzung für einen erfolgreichen Start und eine erfolgreiche Etablierung der Aktivitäten.
    Außerdem unterliegt das Web 2.0 eigenen Gesetzen, die von Agenturen nur äußerst gering vorausgeahnt und noch geringer beeinflusst werden können.
    Erfahrung kann man nicht in zwei Monaten antrainieren – man muss sie hart und langfristig erarbeiten oder – viel besser! – bei denjenigen einkaufen, die sich damit auskennen (Stichwort: „Alpha-User“).Übrigens:
    Das Web 2.0 und seine User sind nicht dumm (wie viele Agenturen meinen), sondern haben umgekehrt viele Agenturen schon längst an Wissen und Ideenreichtum überflügelt.
  2. Ungeduld
    PR-Agenturen wollen so schnell wie möglich die Ergebnisse oder den Erfolg ihrer Kampagnen erfahren – aus herkömmlichen Werbemaßnahmen kennen sie dies und bekommen die relvanten Informationen auch meist umgehend (TV-Einschaltquoten direkt am nächsten Tag etc.).
    Das Web 2.0 dagegen hat Geduld und nimmt sich diese (je nach Umstand) auch – dem müssen sich auch Agenturen unterwerfen (können), denn das Web 2.0 bestimmt die Geschwindigkeit – nicht die Agentur.
    So kann es durchaus sein, dass ein möglicher Erfolg einer Web 2.0-Aktion erst Wochen oder Monate später als solcher zu erkennen ist.
  3. Messbarkeits-Sucht
    Den Erfolg einer, von einer Agentur entwickelten und ausgeführten Aktion wollen (oder müssen?) sie aus einem inneren Drang heraus stets messen (können) – schließlich wird das auch nach wie vor an den Universitäten gelehrt und ist Bestandteil Ihrer Dienstleistung.
    Doch diese bisherige Messbarkeit ist im Web 2.0 nicht mehr oder nurmehr marginal möglich.
    Es ist zwar möglich festzustellen, ob ein User von einer Website kommt, aber es ist schon lange nicht mehr (verlässlich) nachweisbar.
    Gerade die temporär versetzten und langfristigen User-(Re-)aktionen sind nicht mehr trackbar – wer etwas anderes behauptet, kennt das Web 2.0 nicht.
  4. Trägheit
    Zu oft werden Schablonen-Konzepte aus alternativen Medien in das Web 2.0 übertragen – ganz nach dem Motto: „…was dort funktioniert hat, funktioniert auch im Web 2.0„.
    Dieser Versuch scheitert leider viel zu oft kläglich – wie zahlreiche Beispiel (siehe unter 1) zeigen.
    Das Web 2.0 ist erheblich sensibler und offenbart jeden noch so kleinen Fehler umgehend.
    Neue Konzepte, neue Blickwinkel und vor allem(!) neue Ideen sind gefragt – weit ab von allem bisherigen…
  5. Habgier
    Viele Agenturen wollen sich in dieser entscheidenden Umbruchphase dem Klienten gegenüber als besonders modern und Web 2.0-erfahren präsentieren, obwohl ihre Mitarbeiter (im Ernstfall sogar nur ein einzelner) gerade mal die Erfahrung von ein paar Rezensionen bei Amazon oder ein paar Beiträgen bei WebNews oder Mister-Wong besitzen.
    Das Web 2.0 aber ist viel facettenreicher und erst recht gnadenlos, wenn man vermeidbare Fehler (unwissentlich) produziert.
    Im Sinne eines verantwortungsvollen Umgangs mit dem Klienten oder dem Produkt darf bei Aussicht auf einen Werbe-Etat niemals die Komplexität und die notwendige Voraussetzung an weitgehender und langfristiger Erfahrung im Web 2.0 ignoriert werden.
  6. Angst
    Die Angst vor dem unbekannten Wesen (=dem Web 2.0-User) ist bei PR-Agenturen allgegenwärtig.
    Angst ist nicht schlecht, denn sie schärft die Sinne, doch wenn sie PR-Agenturen lähmt, sodass diese ihren Klienten eher die Zurückhaltung aufgrund der möglichen Gefahren im Web 2.0 empfehlen, ist dies kontraproduktiv und nicht förderlich im Sinne des Erfolges des Klienten/Produktes.
    Gezielter und erfahrener(!) Umgang mit dem Web 2.0 kann schließlich sogar produktiver und effizienter als viele andere Maßnahmen genutzt werden…
  7. Zorn
    Häufig haben PR-Agenturen den Wunsch, nur bestimmte Tendenzen bzgl. möglicher Kritik über das Unternehmen und/oder des Produktes zu akzeptieren.
    Tritt dies nicht ein oder treten Fälle auf, die dieser „heilen Welt“ nicht entsprechen, wird alles gelöscht, was nicht dem gewünschten Bild entspricht.
    Ein kapitaler Fehler, denn das Web 2.0 ist mächtiger als jede noch so gut aufgestellte Agentur – Fälle wie Digg.com beweisen dies sehr eindringlich und nachhaltig.

Viel Erfolg und beste Grüße Euch allen da draußen,
Eric Haas

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